Rede von Nadine Henke, gehalten heute vor dem Brandenburger Tor
Unsere moderne Landwirtschaft – eine Erfolgsgeschichte
1950 produzierte ein Landwirt genug Lebensmittel für 10 Menschen. 1970 ernährte ein Landwirt bereits 27 Menschen. Und heute produziert ein einziger Landwirt genug Lebensmittel für 145 Menschen.
Wie schaffen wir das? Dafür lassen Sie uns über Produktivität sprechen: Von 1950 bis heute ist der durchschnittliche Ertrag beim Weizen von 27 Doppelzentner (das sind 2,7 Tonnen) auf 74 Doppelzentner (7,4 Tonnen) pro Hektar gestiegen. Bei den Kartoffeln und auch bei Zuckerrüben haben wir die Durchschnittserträge verdoppeln können. Und das alles auf einer sich vermindernden landwirtschaftlichen Nutzfläche. In Deutschland werden immer noch mehr als 70 Hektar Fläche pro Tag in Siedlungs- und Verkehrsfläche umgewandelt. Etwa die Hälfte dieser Fläche wird versiegelt, das heißt, sie ist mit Straßen, Wegen, Parkplätzen oder Gebäuden überbaut, asphaltiert, betoniert, gepflastert oder verdichtet. Diese Siedlungs- und Verkehrsflächen sind für den Anbau von landwirtschaftlichen Produkten verloren.
Auf der anderen Seite wird Deutschland immer Grüner – die Wiesen- und Waldflächen nehmen zu. Im Umkehrschluss verlieren wir immer mehr Ackerfläche zum Anbau von Getreide, Obst & Gemüse. Und dennoch werden wir täglich satt.
Wie schaffen wir das? Auf der einen Seite sind wir Landwirte multifunktional: wir sind Ackerbauern, Tierhalter, Landschaftspfleger, Ökonome, ein bisschen Meteorologen und vor allem eines – Optimisten. Auf der anderen Seite haben wir uns und unsere Landwirtschaft stets weiterentwickelt.
Und noch eine Zahl, die ich Ihnen an dieser Stelle nicht vorenthalten möchte: 1950 arbeiteten noch 25% der deutschen Bevölkerung in der Landwirtschaft, heute sind es weniger als 2%. Das heißt im Umkehrschluss, dass 98% der Menschen in Deutschland unsere Kunden sind – anonyme Kunden. Aber auch für Sie haben Ihre Lebensmittel, die sie im Geschäft kaufen, lediglich einen anonymen Ursprung.
Sie fragen sich, wer ist denn dieser Landwirt, der uns ernährt? Oder ist es die sogenannte „Agrarindustrie“? Nein, es sind Landwirtsfamilien – ungefähr 270.000 deutschlandweit. Es sind Landwirtsfamilien wie meine Familie. Ich komme aus Niedersachsen. Ich bin Tierärztin, mein Mann ist Landwirt. Zusammen bewirtschaften wir in 4. Generation ein landwirtschaftliches Familienunternehmen. Wir halten Sauen und beschäftigen 8 Mitarbeiter und drei Aushilfen. Und wir sind ein Ausbildungsbetrieb. Wir sind mit Herzblut Schweinehalter. Ackerbau liegt uns nicht. Deswegen arbeiten wir mit anderen Betrieben in einer Kooperation, die sich auf den Anbau von Getreide spezialisiert haben. Wir finden, dass wir so eine gute Lösung für uns gefunden haben, da wir uns ausschließlich um unsere Tiere kümmern können.
Viele Menschen würden uns jedoch als „Massentierhalter“ beschimpfen. Wir sprechen da ganz offen drüber – jedes Ferkel, das bei uns geboren wird, wird später ein Lebensmittel. Und dennoch ist für uns jedes unserer Schweine ein Tier, was uns wichtig ist und um das wir uns kümmern. Und auch wenn wir von Produktion sprechen, ist keines unserer Tiere für uns ein Produkt, sondern ein Lebewesen, was wir achten.
Wir haben drei kleine Kinder. Der Kleine ist jetzt drei Jahre, unsere Mittlere 4 und der Große 6 Jahre alt. Unsere drei Kinder gehen gerne mit uns in den Stall. Sie füttern die Tiere, kuscheln mit ihnen, reiben die kleinen Ferkel nach der Geburt trocken und setzen sie zur Sau. Mir als Mutter geht das Herz auf, wenn ich sehe, wie unsere Kinder mit unseren Tieren umgehen, wie sie ganz natürlich mit ihnen aufwachsen – sie den Respekt vor ihnen lernen aber überhaupt keine Angst haben.
Nur ich habe Angst. Ich habe Angst davor, dass unsere Kinder aufgrund unseres Betriebes ausgegrenzt werden. Ich habe Angst davor, dass sie beschimpft werden, dass ihnen gesagt wird, ihre Eltern seien „Umweltverschmutzer“, „Tierquäler“, „Massenmörder“ oder „stinkende und schmutzige Menschen“.
Wir können das verhindern. Lassen Sie uns reden – und zwar miteinander und nicht übereinander. Lassen Sie uns aufeinander zugehen und uns kennenlernen. Denn nur wenn wir miteinander reden, können wir lernen, die Sorgen und Ängste des anderen zu verstehen. Deswegen – Dialog statt Protest! Vielen Dank!